Neulich war ich in der Stadtkirche, auf der Suche nach einer Auszeit in der alltäglichen Hektik. Ein einziger Mann saß auf den Bänken. Ich hielt ihn für einen Kirchenmitarbeiter, doch nun kam er auf mich zu. Er wäre aus der Ukraine, hätte drei Kinder, seine Frau stünde kurz vor der Geburt des vierten und er bräuchte deshalb dringend Geld. Ich war überrumpelt und steckte ihm fünf Euro zu. Sofort kam er noch näher und umarmte mich (Hilfe!). Ich wich erschrocken zurück. Das würde nicht reichen, sagte er jetzt, er bräuchte 15 Euro. „Mehr habe ich nicht“, log ich und hoffte, dass sich mein 50-Euro-Schein nach der unfreiwilligen Umarmung noch in der Handtasche befand. Der Mann flehte mich an. Nach besinnlichem Kerzenanzünden und Innehalten war mir nicht mehr zumute und ich verließ die Kirche fluchtartig.
Ob es echte Not war oder nicht: Die Stadtkirche ist nicht der richtige Ort zum Betteln. Es gibt Anlaufstellen für Menschen in Not und ich bin nicht das Sozialamt. Ich will helfen, ja – aber nicht unter Druck, nicht mit flauem Gefühl im Bauch und erst recht nicht in der Kirchenbank. Vielleicht bin ich naiv, vielleicht zu misstrauisch. Aber mein nächstes Almosen bekommt wieder die Kollekte. Die umarmt mich wenigstens nicht. Angelika Tiefenbache